„Osteopath sein.“ Die Abschlussrede von Werner Langer als Schuldirektor des IFAO

Diesen Mittwoch werden sich wieder zahlreiche Therapeuten in ganz Deutschland der Heilpraktikerprüfung stellen. Und ihnen sind auch viele Kollegen und unsere außerordentlichen Mitglieder, die künftig Osteopathie rechtssicher und uneingeschränkt ausüben wollen. 
Wir drücken allen Prüfungskandidaten kräftig die Daumen!
 
Die Heilpraktikerprüfung ist weit mehr als nur der Erwerb eines notwendigen Scheines. Diese Auffassung vertritt auch Werner Langer, ehemals Direktor des Instituts für angewandte Osteopathie, IFAO, eine der größten Osteopathieschulen in Deutschland.
 
Am 26. Juni hatte er eine bemerkenswerte Abschlussrede vor seinen Osteopathieabsolventen in Frankfurt gehalten. Wir haben Werner gebeten, seine Rede für uns nachzuschreiben und danken ihm dafür, dass wir sie hier veröffentlichen dürfen. 
 
 
Nachgeschriebene Rede an die Osteopathie-Absolventen, Abschluss 2015-2016, gehalten Sonntag, den 26.06.2016 in Frankfurt.
 
„Werte Absolventinnen und Absolventen,
 
zuerst gratuliere ich euch für das Erreichte, Anerkennung für die Leistung intellektuell, psychisch und sozial, das ist gleich die ganzheitliche Anforderung, Osteopath zu werden.
Nun habt ihr aus eurer Sicht vielleicht das Schwerste und Wichtigste geschafft. Ich sage aber, dass kommt jetzt erst. 
 
Es geht um Haben und Sein.
Heute habt ihr das Zeugnis, die Urkunde, das Diplom. Was hab ihr denn wirklich bekommen?

  • Es ist ein Stück Papier. Der Wert dieses Habens ist aber nur ein ideeller, imaginärer Wert, den man eigentlich nicht besitzen kann.
  • Der Wert eures Zertifikats als Osteopath wird durch das Sein bestimmt. Und dieser Wert ist ein ganz individueller.
  • Ab Morgen habt ihr die Wahl: den Osteopathenschein zu haben oder Osteopath zu sein.

 
Osteopath sein, heißt sich mit der Osteopathie zu beschäftigen, sie auszuüben in all ihren Facetten, sie in Frage zu stellen, sie zu verändern, zu verteidigen, ihre Werte herauszustreichen und vieles mehr.
Das alles kann man weder von Schule und Lehrern bekommen und man kann es nicht in Buchläden und Fachgeschäften kaufen. Nein, das muss man ganz alleine tun.
 
Wir, das IFAO, haben in den fünf Jahren versucht, euch zu vermitteln, dass Osteopathie nicht als ein materieller Wert an euch gegeben werden kann, sondern dass das Lehren genau wie das Lernen in die Kategorie des Seins einzuordnen ist. 
 
So haben mich diese endlosen Diskussionen über den Heilpraktikerschein sehr genervt. So lange, wie es nur darum geht, den HP-Schein zu haben, wird auch der Wert dieses Scheins den Wert des Papiers nicht übertreffen. Erst wenn eine HP-Prüfung auch garantieren kann, dass der Inhaber in der Lage ist, die Heilkunde auszuüben und nicht nur in der Lage ist, eine Prüfung zu bestehen, um einen Schein zu haben, wird dieser mit Sinn erfüllt.
 
Anstatt uns groß aufzuregen, sollten wir jubeln!
Jahrelang, ja sogar Jahrzehnte lang, haben Osteopathen in vielen Ländern um die Anerkennung der Osteopathie als eigenständigen medizinischen Beruf gekämpft. Dazu haben sie Ausbildungen gemacht, die in ihrem Umfang der eines Allgemeinmediziners in etwa entsprechen, sie haben Prozesse geführt, um sich des Vorwurfes der illegalen Ausübung des medizinischen Berufes zu erwehren.
Es war ein langer, beschwerlicher und kostspieliger Weg bis zur Anerkennung der Osteopathie, als eigenständiger medizinischer Beruf mit Erstzugang zum Patienten.
 
Auch in Deutschland kämpfen wir dafür, das Osteopathie Heilkunde ist und somit sich deutlich von medizinischen Hilfsberufen wie z.B. Physiotherapie, Ergotherapie, usw. unterscheidet. 
In keinem anderen europäischen  Land ist es einfacher, Osteopathie legal zu betreiben als in Deutschland, denn es ist das einzige Land mit der Möglichkeit Medizin ohne Bestallung auszuüben, d.h. als Heilpraktiker.
Das ist ein Geschenk, das wir haben und was machen wir? Wir treten es mit Füßen.
 
Deshalb sollte das Düsseldorfer Gerichtsurteil uns zuerst einmal freuen. Es bestätigt die Osteopathie als Heilkunde. Das ist eine Errungenschaft, für die Osteopathen in Deutschland und vorher in andern Ländern einen erbitterten Kampf geführt haben.
Wir in Deutschland haben die Möglichkeit Osteopathie legal auszuüben, auch ohne Mediziner zu sein, unter der Bedingung die Heilpraktikerprüfung abzulegen. Was wollen wir mehr? Ja natürlich wollen wir auch einen anerkannten Beruf. Um dies zu erreichen, müssen wir beweisen, dass Osteopathie eine seriöse, fundierte und wissenschaftsbezogene Ausbildung verlangt.
 
Nun wollen deutsche Osteopathen noch weniger Ausbildung, am liebsten ohne wissenschaftliche Abschlussarbeit (DO) und einige wollen sogar die Ausübung der Osteopathie ohne Heilerlaubnis im Delegationsverfahren betreiben. Das geht nicht! Das steht im absoluten Gegensatz zu dem, was Osteopathie sein soll. 
 
Wer als Therapeut auf die Menschheit losgelassen wird, hat Verantwortung zu tragen. Deshalb ist eine intensive Grundausbildung wichtig. Diese sollte in ihrem Umfang der eines Mediziners gleichgestellt sein. Deshalb benötigt die Osteopathieausbildung als Voraussetzung eine Ausbildung in medizinischen Grundlagen.
 
Wer nun eine Grundausbildung als Physiotherapeut oder eine entsprechende andere Ausbildung (ca. 3500 Unterrichtseinheiten in medizinischen Fächern) mitbringt, danach ca. 1.500 Unterrichtsstunden Osteopathie macht und zusätzlich noch ein paar Ergänzungskurse in nicht osteopathischen Fächern (z.B. Injektionslehre), der sollte alle Voraussetzungen zur Heilpraktikerprüfung mitbringen.     
    
Ich hoffe nun, dass die Osteopathieausbildung dieses Niveau zumindest teilweise erreicht, dass sie euch als Absolventen wirklich qualifiziert, die Heilkunde im osteopathischen Sinne und in den rechtlichen Grenzen zu praktizieren.
 
Ich wünsche euch, dass ihr dann auch möglichst viele und möglichst bald, gute Osteopathen seid.“
 

Werner Langer DO