Warum eine Lösung für alle nicht kommen wird

Seit geraumer Zeit wird in Positionspapieren und auf Verbandseiten ein Berufsgesetz gefordert, aber nicht näher erläutert, wie dieses konkret aussehen soll.

Warum eigentlich? Warum belässt man es nur bei der vagen Forderung nach einer „Lösung für alle“?

Gehen wir der Sache nach:
Der Slogan „Lösung für alle“ klingt positiv nach Brückenschlag und Verständigung. Das klingt, als ob alle im gleich Boot säßen. Aber tun wir das wirklich?

Wenn mit „alle“ die drei Berufsgruppen gemeint sind, die Osteopathie ausüben, also Ärzte, Heilpraktiker und Physiotherapeuten, dann lautet die Antwort nein. Denn die Rechtslage der drei Berufsgruppen ist grundverschieden: 

  • Ärzte dürfen Heilkunde und damit auch Osteopathie praktizieren. Sie sind die zentralen Akteure unseres auf einem Sozialversicherungsmodell bauenden Gesundheitssystems. Ihre Ausbildung ist staatlich geregelt, ihr Arbeitsfeld ist vorwiegend – aber nicht ausschließlich – die klassische Medizin mit all ihren Fachbereichen. Und sie benötigen eine staatliche Zulassung, um praktizieren zu dürfen. 378.607 Ärzte waren in 2016 bundesweit tätig.
     
  • Anders bei den Heilpraktikern: Auch sie dürfen mit Einschränkungen Heilkunde und damit auch Osteopathie praktizieren. Doch ihre Ausbildung ist staatlich nicht geregelt. Über eine staatliche Prüfung müssen sie nur beweisen, dass sie keine Gefahr für die Volksgesundheit darstellen. Sie haben daher keine Schlüsselrolle in unserem Gesundheitssystem, ihre Leistungen zählen nicht zu den Regeleistungen, für die gesetzliche Krankenkassen aufkommen. Deshalb sind Heilpraktiker Akteure auf dem sog. zweiten Gesundheitsmarkt, also dem der privat finanzierten Produkte und Dienstleistungen. Ihr Arbeitsfeld ist vorwiegend die komplementäre Heilkunde.
    Ihre genaue Zahl lässt sich nicht ermitteln, da Erhebungen nicht zwischen „vollen“ Heilpraktikern und den zahlreichen Physiotherapeuten, Psychotherapeuten, Ergotherapeuten und Podologen unterscheiden, die mit Hilfe des sektoralen Heilpraktikers ihren Beruf im Primärkontakt ausüben.

  • Noch einmal anders die Physiotherapeuten: Sie zählen zu den Gesundheitsfachberufen und erbringen Heilmittel auf ärztliche Verordnung. Die Ausübung von Heilkunde ist ihnen untersagt und somit auch die Ausübung der Osteopathie. Ihre Ausbildung ist durch ein eigenes Berufsgesetz (MPhG) staatlich geregelt, das Osteopathie nicht umfasst. Sie sind, gemeinsam mit den anderen Gesundheitsberufen, wichtige Akteure in unserem Gesundheitssystem, ihre Leistungen im Bereich der klassischen Therapieformen werden bei Kassenzulassung von den gesetzlichen Krankenkassen vergütet. In 2015 waren bundesweit 231.000 Physiotherapeuten tätig.


Es zeigt sich: Bei so unterschiedlichen Rechtslagen kann es keine gemeinsame Lösung für alle geben. Denn die Ausübung der Osteopathie ist bei Ärzten und Heilpraktikern bereits geregelt. Sie dürfen Osteopathie praktizieren, egal, wie ein osteopathisches Berufsgesetz aussehen würde.

Ein eigenes Berufgesetz wäre somit nur ein Gesetz für Physiotherapeuten, was zur nächsten Frage führt: Haben Physiotherapeuten überhaupt ein Interesse an einem Berufsgesetz für Osteopathie?

Hier muss man unterscheiden: Physiotherapeuten mit qualifizierter Osteopathieweiterbildung ohne Heilpraktikererlaubnis haben grundsätzlich ein Interesse daran. Aber die Mehrzahl der 231.000 tätigen Physiotherapeuten haben daran kein Interesse, ebenso wenig wie die Physiotherapieverbände, der Spitzeverband der Heilmittelverbände, die Manualmediziner und die Bundesärztekammer. Sie wollen stattdessen Teile der Osteopathie in die Physiotherapie integrieren.

Aus diesem Grund wird es in der nächsten Legislaturperiode neue Versuche geben, mindestens den Bereich der parietalen Osteopathie in die Physiotherapie einzubinden.

Wie so etwas funktioniert, zeigt die zum 1. Juli in Kraft tretende Heilmittelrichtlinie für Zahnärzte. Sie ermöglicht es Zahnärzten dann u.a. craniomandibuläre Störungen, chronifizierte Schmerzsyndrome im Zahn-, Mund- und Kieferbereich, Fehlfunktionen bei angeborenen cranio- und orofaszialen Fehlbildungen und Fehlfunktionen bei Störungen des ZNS sowie Lymphabflussstörungen an Physiotherapeuten zu verordnen – alles Indikationen, die aus osteopathischer Sicht zur kranialen Osteopathie zählen.

Fassen wir zusammen: 

  1.  Ein Berufsgesetz für alle wäre in Wahrheit ein Berufsgesetz für Physiotherapeuten.

  2. Es würde die Ausbildung und Ausübung der Osteopathie regeln und damit einen noch zu definierenden Qualitätsstandard schaffen, der relativ weit unten angesetzt sein müsste, um möglichst viele Therapeuten mit unterschiedlichsten osteopathischen Weiterbildungen „aufzufangen“.

  3. Dazu müsste Osteopathie vom Umfang her definiert werden, um festzulegen, welche Bereiche in eine gesetzlich geregelte Ausbildung gehören und welche nicht (z.B.: Manipulationen, Kinder- und Säuglingsbehandlung, Biodynamische Osteopathie).

  4. Der per Gesetz neu geschaffene Beruf müsste sozialverträglich gestaltet sein, damit jeder gesetzlich Versicherte Anspruch auf die Regelleistung Osteopathie hätte (gegenwärtig ist Osteopathie nur eine Satzungsleistung vieler gesetzlicher Kassen). Die Abrechnung müsste somit über Ziffern einer noch zu schaffenden Gebührenordnung erfolgen.

  5. Ob ein solcher sozialverträglich gestalteter Beruf dann arztgleich im Primärkontakt arbeiten dürfe, darf bezweifelt werden. Sehr viel wahrscheinlicher wäre die Ausübung als Gesundheitsfachberuf nur mit ärztlicher Verordnung.

 
Das alles klingt nicht wirklich nach Lösung und möglicherweise ist das der Grund, weshalb die Forderungen nach einem eigenen Beruf nie konkretisiert worden sind: Ein solcher Beruf würde vielen zurecht nicht gefallen. 

Wer also weiterhin Forderungen nach einem eigenen Berufsgesetz stellt, der sollte auch genau erläutern, wie er sich einen solchen Beruf in unserem Gesundheitssystem realistischerweise vorstellt. Sonst bleibt die Forderung nach einer „Lösung für alle“ das, was sie ist: ein Slogan.
 
Teil II nächste Woche.