Thema Schock: Interview mit Edward Muntinga über sein "SchockConcept"

Herr Muntinga, Sie bieten im März und Juni 2018 Fortbildungskurse zu Ihrem SchockConcept an. Was ist ein Schock aus osteopathischer Sicht und wie und wo manifestiert er sich?
Schock für mich ist eine reine Form von potentieller Energie, die in der Fluidität des Gewebes gespeichert ist und sich via vegetatives Nervensystem äußert (Ortho- und Parasympathikus). Diese Form von (Schock-)Energie kann sehr oft der Träger von Gewebserinnerungen sein, welche sich beim Release des Schocks auch zeigen können. Diese Gewebserinnerungen sind IMMER Erinnerungen der Ursache der behandelten Struktur. Um diese sensorisch wahrnehmen zu können, gibt es leider keine „Techniken”, sondern es muss eine neue „Sprache” erlernt werden, mit der Hände, Herz und vegetatives Nervensystem des Osteopathen die Schockenergien erspüren und „ableiten” kann.
 
Kann ein Schock bzw. Trauma psychisch vergessen sein, aber trotzdem noch im Körper stecken?
Unser Langzeitgedächtnis (Psyche, Gehirn) kann „vergessen”, aber das Gewebe vergisst nahezu keine traumatisierenden Ereignisse, d.h. alles, was „transresilient”, also jenseits der Resilienzgrenze – egal ob psychisch, emotional oder körperlich – für die betroffene Person war. Ich erlebe immer wieder, dass hinter einer frischen Verletzung (Autounfall, etc.) noch eine ältere Geschichte liegt, die im Dunkeln schlummert. Dies kann ein Unfall in der Kindheit, eine schwere Geburt oder sogar eine vorgeburtliche Traumatisierung sein. Wenn beide, also Alt und Neu, miteinander in Resonanz sind (d.h. eine ähnliche Signatur besitzen), dann kann das Neue das Alte erwecken und hiermit übertrieben starke, therapieresistente und komplexe Symptomatiken verursachen. Wenn man dem Gewebe wirklich gut zuhört und jede mögliche Sensorik als Osteopath zulässt, dann ist es möglich, hinter den „Vorhang des Offensichtlichen” zu schauen, und an alte Erinnerungen zu gelangen, dem sich der Patient im Jetzt nicht bewusst ist.

Sind Traumata bei Patienten eher die Ausnahme oder eher die Regel?
Ich benutze lieber den Begriff „Schock”. Trauma ist eher ein systemischer Prozess, um mit einer Traumatisierung umzugehen. Schockenergie ist pur, klar, unverfälscht, authentisch.
„Wer sucht, der findet” - ich finde natürlich oft Schock im Patienten; weil ich danach suche und weil meine Sensorik darauf sich „spezialisiert” hat. Leider werden zu viele Patienten falsch diagnostiziert, falsch behandelt (nur mechanisch - parietal etc.) und falsch verstanden. Rollin E. Becker DO sagte mal, dass „es keine chronischen, sondern nur nicht-spezifisch-behandelte Patienten gibt”. Da ich öfters Patienten behandeln darf, für die ich „die letzte Rettung” darstelle und viele anderen Therapeuten sich die Zähne an ihnen schon ausgebissen haben, suche ich natürlich ganz spezifisch nach Thematiken wie Schock in der Biografie des Körpers. Zu 95% ist da was, man muss nur wissen wo, wie alt und was für ein Schock.
 
Was hat Sie dazu gebracht, sich auf die osteopathische Behandlung von Traumata zu spezialisieren?
Eine schöne Frage, die ich gerne sehr offen beantworten werde. Vor etlichen Jahren fing ich an, während der Behandlungen komische Gedanken, Bilder, und vor allem starke Gefühle zu entwickeln, die – nach gründlicher innerer Abklärung – nicht von mir selber kamen. Meine Mutter, selbst Psychologin, warnte mich davor, dass ich evtl. meine innere Welt in den Patienten projiziere. Dies war absolut nicht der Fall. Heute traue ich mich zu sagen, dass ich einen sehr „intimen Draht” zu Schockenergie, zu Leiden, zu Schmerz, zu Tod, zu Trauer, u.v.m. habe. Gewisse Leute nennen dies “clairsentience” - Hellfühligkeit, Empathie. Diese „Hellfühligkeit” ist aber spezifisch auf Schock und Trauma gerichtet. Wenn ich Schock in den Händen habe, bin ich Schock, sehe die Erinnerung, fühle den Schmerz und erlebe das Trauma. Das ist nicht immer schön, aber eine große Ehre, solch intime Details einer Biografie eines Patienten teilen zu dürfen.
So hat es sich ergeben, dass dies mein Spezialgebiet wurde. “Do what you do best”!

Sie haben daraus ein eigenes osteopathisches Diagnose- und Behandlungskonzept entwickelt, eben Ihr SchockConcept. Was ist das Besondere daran?
Der Begriff “Konzept” ist mir etwas unangenehm, aber irgendwie musste ich ja meine Arbeitsweise benennen. Ich lehre keine „Schema-ABC” Methodik und keine isolierten Techniken, sondern ich lehre Wissen, Erfahrung, Prinzipien, Handgriffe und Herangehensweisen. Besonders daran ist, dass ich alles in Verbindung mit Schock bringen möchte. Wir als Osteopathen haben die einmalige Gelegenheit, spezifische Werkzeuge zu lernen, mit der wir die verursachenden Kräfte einer Schock-Problematik erkennen und lösen können, und nicht nur den „Jetzt-Zustand” der Läsion. Wir dürfen vom Weg abkommen, Anatomie zu behandeln, und dürfen uns wagen, die Kräfte des Traumas DIREKT zu behandeln. Trauma folgt nicht der Anatomie, naja, nur teilweise.

Was erlernen Teilnehmer Ihrer Kurse I und II und wo finden die Kurse statt?
Kurs I: Hier wird insbesondere Fokus auf intraossäre Problematiken des Bewegungsapparates gesetzt. D.h. es wird nahezu jeder Knochen des Körpers (außer dem Cranium) in Relation zu mechanischen Traumatisierungen angeschaut. Natürlich wird auf die „Anatomie des Schocks” eingegangen und ja, auch etwas Methodologie vermittelt. Speziell ist auch, dass man mit dieser Herangehensweise auch frische Frakturen behandeln kann und das ganz ohne Risiko.
Meine Beobachtungen betreffend “intraossäre Läsionen”: In etlichen Schulen und Publikationen wird diese Thematik entweder nur in der Pädiatrie aufgegriffen, oder nur selten auch in Verbindung zu erwachsenen Patienten. Und auch Osteopathen welche IOL (intraossäre Läsionen) anscheinend kennen und behandeln, haben ein Problem: Oft wird nicht genau genug gearbeitet und nicht auf allen palpatorischen Ebenen werden die IOL angegangen, insbesondere der Aspekt von Schock, Fluidität, Kraftlinie etc. Aus diesem Grund ist dieser „Basic” Kurs entstanden, an dem auch Pferdeosteopathen teilnehmen… das macht Spaß!

Kurs II: Hier geht es nahezu ausschließlich um den Schädel und dessen Inhalt.

  • „Den Weg zum Gehirn” frei machen
  • spezifische Ventrikeltechniken
  • traumatische endocraniale Verdichtungen (nach Philippe Druelle DO)
  • Vektortechniken
  • Schock, Trauma
  • „Nussknackertechniken” - wie bekommt man einen „Betonschädel” in Bewegung
  • gewisse biodynamische Ansätze werden auch gezeigt
  • u.v.m.

In diesem Kurs geht es „an die Zentrale”, insbesondere im Bezug auf mechanische und emotionale Traumatisierungen. Schleudertrauma, Schädel-Hirn-Trauma, PTSD, CTE u.v.m., wird angesprochen.
Speziell: Am Anfang und am Ende des Kurses wird auf Wunsch ein individuelles EEG (Elektroenzephalografie) gemacht, um Veränderungen darstellen zu können.
 
Kurs II findet in 8132 Egg bei Zürich (Schweiz) statt, siehe www.schockconcept.ch für Details.
Kurs I in Hertenstein, Weggis (Schweiz). Dieser Kurs wird vom SICO (www.sico.ch) gehostet.

Kurs II findet bereits im März statt, Kurs I erst im Juni. Bauen die Kurse aufeinander auf oder kann man erst Kurs II und dann Kurs I besuchen?
Ausgebildete Craniosakraltherapeuten oder Osteopathen dürfen Kurs II/I in jeglicher Reihenfolge besuchen. Pferdeosteopathen empfehle ich nur den Kurs I und Anfängern (CST/Osteo in Ausbildung) empfehle ich, den Kurs I zuerst zu machen - nach Absprache.
 
Wo kann man die Kurse buchen und wann findet Kurs III statt?
Kurs II: www.schockconcept.ch (9.-11. März 2018)
Kurs I: www.sico.ch (29. Juni - 1. Juli 2018)
 
Kurs III: Ist noch in der Werdungsphase. Wahrscheinlich geht es um prä-, peri- und postnatale Traumatisierung und spezifische Traumatisierungsthematiken wie Krieg, Tod, Vergewaltigung, Gewalt etc. Ich bin mir noch nicht sicher. Alles zu seiner Zeit.
 
Herr Muntinga, vielen Dank für das Interview.
War mir ein Vergnügen!