Vorsicht vor Scheinselbständigkeit!

Rechtssicherheit ist kein schönes Wort, aber existenziell wichtig. Deshalb beschreibt der hpO für seine Mitglieder unermüdlich, was alles dazu gehört, als Osteopath:in auf rechtssicheren Boden zu praktizieren. Zum Beispiel kann man über die Frage von (Schein-) Selbstständigkeit heftiger stolpern, als gemeinhin vermutet wird. 
 
Freiheitsstrafe und Geldstrafe verhängt
Ein Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs (BGH) hat Klarheit geschaffen, wann Mitarbeitende abhängig beschäftigt oder als frei mitarbeitend einzustufen seien. In dem Verfahren ging es um zwölf Rechtsanwälte einer Kanzlei. Der beklagte Kanzleiinhaber wurde wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung und einer Gesamtgeldstrafe von 300 Tagessätzen zu je 200 Euro verurteilt
(Infos zum Sachverhalt: weiter unten). 
 
Medizinrechtlerin warnt vor finanziellen und strafrechtlichen Folgen
"Auch wenn dieser Fall Anwälte betrifft, so lassen sich die Urteilsgründe auf alle Bereiche übertragen", kommentiert hpO Beraterin Prof. Dr. Birgit Schröder, Fachanwältin für Medizinrecht. "Es ist besondere Vorsicht geboten, wenn freie Mitarbeitende beschäftigt werden sollen. Das Risiko, dass im Nachhinein eine angestellte Tätigkeit festgestellt wird, ist groß. Und dann kann es nicht nur teuer werden, sondern auch strafrechtlich gefährlich."
 
hpO empfiehlt professionelle Prüfung von Vereinbarungen
Vor diesem Hintergrund mahnt der hpO einmal mehr zur Vorsicht. 
Wir empfehlen, Praxisinhaber:innen, die freiberufliche Mitarbeiter:innen in ihren Praxen beschäftigen, ihre Vereinbarungen zu überprüfen. Für den Fall, dass Vereinbarungen neu gestaltet werden müssen, sollten diese einem Statusfeststellungsverfahren bei der Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung unterzogen werden. Der Aufwand lohnt sich, denn stellen Betriebsprüfende der Deutschen Rentenversicherung nachträglich Scheinselbstständigkeit bei freien Mitarbeitenden in der Praxis fest, kann es teuer werden. Vor allem dann, wenn Beiträge für mehrere Jahre nachgefordert werden und Säumniszuschläge hinzukommen.

Gesamtbild der Arbeitsleistung ist maßgebend
Im Leitsatz des BGH-Urteils zur Abgrenzung von Scheinselbstständigkeit zur Selbstständigkeit heißt es, entscheidend zur Einstufung sei das Gesamtbild der Arbeitsleistung und damit das eigene Unternehmerrisiko und die Art der vereinbarten Vergütung. Medizinrechtlerin Prof. Dr. Birgit Schröder erläutert: "Wer Arbeitszeiten, Ort, Inhalt und Art der Tätigkeit nicht frei bestimmen kann und kein Unternehmerrisiko trägt, ist Arbeitnehmer."
 
Was bedeutet die Einstufung für osteopathische Praxen?
Bezogen auf osteopathische Praxen erklären wir am Beispiel eines fiktiven Freiberuflers kurz, was die relevanten Begriffe im Kern bedeuten:
 
Unternehmerischer Risiko: Das unternehmerische Risiko eines Freiberuflers beschränkt sich keineswegs darauf, dass er eben weniger verdient, wenn er weniger zu arbeiten hat. Nein, das unternehmerische Risiko besteht darin, dass der Freiberufler zahlungsunfähig werden kann. Zum Beispiel, weil er in einem festen Mietverhältnis steht, das es zu erfüllen gilt, auch wenn die Einnahmen stark gesunken sind. Ferner drohen materielle Verluste, etwa, wenn der Freiberufler Praxis-Inventar selbst bezahlt hat; diese Investition droht verloren zu gehen, wenn er die Praxis nicht mehr bewirtschaften kann. 
 
Inhalt und Art der Tätigkeit: Wirklich selbstständig tätig ist jemand, der nicht weisungsgebunden ist und somit in seinem Arbeitsverhältnis frei entscheiden kann, zum Beispiel, welche Art von Therapien er mit Patient:innen macht und wie er sie ausführt. Er trägt für sein Tun in der Praxis die volle Verantwortung und muss entsprechend geradestehen, wenn etwas schiefgelaufen ist.

Ort: In diesem Fall bedeutet Ort, dass sich der Freiberufler in der Außendarstellung eindeutig als selbst verantwortlich darstellen muss, angefangen vom Praxisschild und Briefpapier bis hin zum Webauftritt.
 
Der Sachverhalt, der dem BGH-Urteil zugrunde lag
In der Kanzlei waren zwölf Rechtsanwälte als freie Mitarbeiter tätig. Vereinbart wurde, dass sie als freie Mitarbeiter für die Kanzlei tätig werden, ihre Sozialabgaben selbst abführen, eigenes Personal beschäftigen und selbst werben durften. Der beklagte Anwalt stellte das Büro, Personal und Infrastruktur zur Verfügung, ohne die Mitarbeiter an den Kosten dafür zu beteiligen. Die Anwälte erhielten Mandate; in einer Zusatzvereinbarung wurde geregelt, dass eigene Mandate der Vertragspartner außerhalb der Kanzlei seiner Zustimmung bedurften. Das vereinbarte Jahreshonorar riefen die Rechtsanwälte einmal pro Monat anteilig per Rechnung ab, unabhängig von dem durch sie in dem jeweiligen Abrechnungszeitraum erwirtschafteten Umsatz.
 
Das BGH-Urteil vom 8. März 2023 zum Nachlesen.