Voll erfasst: Arbeitszeit muss dokumentiert werden

Voll erfasst: Arbeitszeit muss dokumentiert werden 


Unternehmen sind dazu verpflichtet, die Arbeitszeit ihrer Mitarbeitenden zu erfassen.

Müssen Arbeitgebende deshalb teure digitale Tools anschaffen, wie interessierte Kreise es gern darstellen?

Nein, eine rechtssichere Arbeitszeiterfassung geht derzeit auch anders.




Die aktuelle Rechtslage zur Arbeitszeiterfassung

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) fällte im September 2022 die Grundsatzentscheidung, dass Arbeitgebende die Arbeitszeit ihrer Beschäftigten exakt dokumentieren müssen – generell und ohne Ausnahme (Az.: 1 ABR 22/21). Bislang mussten nur Überstunden und Sonntagsarbeit dokumentiert werden, jetzt muss die komplette Arbeitszeit systematisch erfasst werden. Genauer: Es muss die geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden.


Auf welche Weise muss die Arbeitszeit dokumentiert werden?

Wie die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung in der Praxis genau ausgestaltet wird, liegt in den Händen des Gesetzgebers. Das Bundesarbeitsgesetz soll entsprechend geändert werden, eine gesetzliche Neuregelung steht allerdings noch aus. Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs sieht wiederum vor, dass Zeiterfassungssysteme nachvollziehbar und fälschungssicher sein sollen.


Gibt es bei der Dokumentationspflicht Sonderregeln für kleine Betriebe?

Nein, die Grundsatzentscheidung betrifft alle Betriebe und gilt für alle Beschäftigen. Interessant zu wissen ist gerade für kleine Unternehmen wie Praxen für Osteopathie oder ärztliche Praxen mit einer geringen Anzahl von Angestellten: Derzeit scheint jede Form der Dokumentation zulässig – vom Papier bis hin zu digitalen Varianten wie Excel-Tabelle oder App. Hauptsache, die geleistete Arbeitszeit der Mitarbeitenden wird erfasst. Das System soll verlässlich, objektiv und zugänglich sein. Arbeitnehmende dürfen ihre geleisteten Arbeitsstunden im Prinzip nach wie vor selbst erfassen, allerdings gibt es dafür momentan keine Rechtsgrundlage, denn das Bundesarbeitsgesetz wurde noch nicht an die Vorgaben des Zeiterfassungsurteils des BAG angepasst. Arbeitgebende sind verpflichtet, zumindest stichpunktartig zu kontrollieren, dass gesetzlich vorgeschriebene Pausen- und Höchstarbeitszeiten eingehalten werden.


Bedeutet das Arbeitszeiterfassungsurteil die Abschaffung der Vertrauensarbeitzeit?

Nach Auffassung der Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts (BAG), Inken Gallner, werden Modelle für Vertrauensarbeitszeit durch das Grundsatzurteil nicht abgeschafft. Ihrer Ansicht nach würden flexible Arbeitszeitmodelle nicht eingeschränkt, schließlich würden auch bei flexiblen Arbeitszeitmodellen die Regeln gelten, beispielsweise die elfstündige Ruhezeit pro Tag. Das Bundesarbeitsministerium teilte nach dem Arbeitszeiterfassungsurteil des BAG mit, in der geplanten Arbeitsgesetzreform flexible Arbeitszeitmodelle weiter zu ermöglichen.


Was soll mit der Pflicht zur Arbeitszeiterfassung erreicht werden?

Mit Bezug auf das Arbeitsschutzgesetz wollten die Richter des BAG die Beschäftigten vor "Fremdausbeutung und Selbstausbeutung" schützen.

Der Arbeitgebende muss "für eine geeignete Organisation sorgen und die erforderlichen Mittel bereitstellen“, um die Sicherheit und den Gesundheitsschutz seiner Beschäftigten zu verbessern.


Kritische Stimmen zum Zeiterfassungsurteil des BAG

Trägt eine detaillierte Arbeitszeiterfassung in erster Linie zum Gesundheitsschutz bei – oder bedeutet sie vielmehr eine Überwachung der Beschäftigten? Um Fragen wie diese dreht sich eine Debatte. Schließlich werden nicht nur Überstunden exakt festgehalten, sondern auch Fehlzeiten und Pausen. Man darf sich die Frage stellen, wie es um den kausalen Zusammenhang zwischen Gesundheitsschutz und minutiöser Arbeitszeiterfassung bestellt ist. Und ob seitens des Gesetzgebers bereits alles andere getan wurde, um die Gesundheit von abhängig Beschäftigten zu schützen.